Was ist „Kurve kriegen“?

Die Initiative „Kurve kriegen“ ist ein Modellprojekt des Landes NRW zur Verhinderung folgenschwerer krimineller Biografien.
Aus einigen Kindern und Jugendlichen, die der Polizei schon früh durch Straftaten auffallen, werden Intensivtäterinnen und -täter, die ein hohes Gewaltpotenzial haben und sehr viele Straftaten begehen. In den vergangenen Jahren war einheitlich anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) festzustellen, dass ein relativ kleiner Anteil von circa fünf Prozent sogenannter Mehrfachtatverdächtiger im Kindes- und Jugendalter rund 30 Prozent der Straftaten im Bereich der Eigentumsdelikte begeht. Im Bereich der Gewaltdelikte liegt der Anteil sogar bei über 50 Prozent der Straftaten. Gewalt- bzw. Kriminalitätsbereitschaft zeichnet sich oft schon in jungen Jahren ab.
Eine Besonderheit der Initiative ist die enge Kooperation von Pädagogik und Polizei. Mögliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Alter von acht bis 15 Jahren werden von der Polizei vorgeschlagen. Die betroffenen Familien erhalten das Angebot von einer qualifizierten pädagogischen Fachkraft der Initiative „Kurve kriegen“ betreut zu werden. Die Mindestlaufzeit beträgt ein Jahr. Nach jeweils sechs Monaten wird durch die begleitenden pädagogischen Fachkräfte überprüft, ob die Unterstützung durch die Initiative weiter benötigt wird. Die maximale Laufzeit endet mit dem 18. Geburtstag.
Kernpunkte sind:
- Frühzeitige Reaktion auf delinquentes Verhalten
- Kontinuierliche Betreuung der Familien durch eine feste pädagogische Kontaktperson
- Vermittlung in kriminalpräventiv ausgerichtete Angebote
- Intensive Vernetzung mit den Fachleuten vor Ort
Die pädagogischen Fachkräfte der Brücke Dortmund e.V. unterstützen die aufgenommenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer und deren Familien und vermitteln in Maßnahmen, Trainings und andere, passgenau zugeschnittene, (kriminal)präventive Angebote. Die Hilfe erfolgt ausschließlich freiwillig, ein Rücklauf von Sozialdaten an die Polizei erfolgt nicht. Die Dienst- und Fachaufsicht der pädagogischen Fachkräfte verbleibt beim Träger.
Vorrangig wird auf bestehende Angebote vor Ort zurückgegriffen. Bei Bedarf werden aber auch Maßnahmen zusammen mit Anbietern vor Ort entwickelt und umgesetzt. So können mit Hilfe von „Kurve kriegen“ Lücken in der Präventionskette geschlossen werden.
Ziele
Als kriminalpräventives Projekt ist die Verringerung von Straftaten sowie die Entwicklung einer Legal- und Lebensperspektive der Teilnehmenden unser oberstes Ziel. „Frühe Hilfe, statt später Härte!“ ist das Leitmotiv unseres Handelns.
Auf unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer bezogen wollen wir:
- Ein Abgleiten in eine kriminelle Karriere verhindern
- Eine Steigerung von Handlungskompetenz und Selbstwert fördern
- Die Verbesserung der individuellen Lebensperspektiven erreichen
Die konkreten Feinziele sind bei den einzelnen Familien unterschiedlich. Oft geht es um einen regelmäßigen Schulbesuch, eine sinnvolle Freizeitgestaltung, die Verbesserung sozialer Kompetenz, die Reduktion von Aggressivität und Gewaltbereitschaft, sowie die Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern.
Maßnahmen
„Kurve kriegen“ kann die Teilnehmer und ihre Familien mit einer Vielzahl von Angeboten unterstützen. Beispielhaft genannt seien:
- Systemische Familienangebote
- Sozialkompetenz- und Anti-Gewalttrainings
- Spezialisierte Nachhilfe
- Pädagogische Sportangebote
- Therapeutische Angebote
- Individualpädagogische Maßnahmen
- Angebote im Sozialraum mit Einbeziehung der peer-group
Kontrollverfahren (Evaluation)
„Kurve kriegen“ wurde von zwei renommierten Einrichtungen langfristig und umfangreich evaluiert. Kurz gefasst ist das Ergebnis: „Kurve kriegen“ wirkt, ist erfolgreich und spart langfristig Geld.
Aufbauend auf der Wirkungsevaluation der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat die Prognos AG eine Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt. Das Ergebnis ist, dass „Kurve kriegen“ nicht nur positive Effekte für die betroffenen Jugendlichen und die vermiedenen Opfer bringt, sondern dass sich die eingesetzten Mittel auch gesamtgesellschaftlich rechnen. Für einen Euro, der in „Kurve kriegen“ investiert wird, erhält die Gesellschaft eine Präventionsrendite von drei bis zehn Euro zurück.
Entstehungsgeschichte
Die Initiative „Kurve kriegen“ geht zurück auf eine Enquetekommission des Landtages NRW, die von 2008 bis 2010 zum Thema Prävention von Jugendkriminalität gearbeitet hat. Der Abschlussbericht, der parteiübergreifend verabschiedet wurde, enthält 35 Handlungsempfehlungen.
Mit der Initiative „Kurve kriegen“ wird der Empfehlung gefolgt, die Gruppe der Intensivtäterinnen und -täter in den Blick zu nehmen und bereits frühzeitig in der Biografie gefährdete Kinder und Jugendliche mit geeigneten präventiven Maßnahmen zu versorgen. Hierbei spielen die Empfehlungen zur strukturellen Vernetzung der Hilfesysteme, zur fallbezogenen Koordination und zur klaren Fallverantwortlichkeit eine zentrale Rolle.
Die Initiative „Kurve kriegen“ ist beim Ministerium des Innern (IM) des Landes NRW angesiedelt. Im Herbst 2011 begannen die pädagogischen Fachkräfte (PFK), die von freien Trägern der Jugendhilfe gestellt werden, zunächst in acht Modellbehörden. Aktuell wird „Kurve kriegen“ nahezu flächendeckend in 40 Polizeibehörden des Landes angeboten. Die Brücke Dortmund e. V. stellt die pädagogischen Fachkräfte im Kreis Unna.